Schlechte Noten durch falsches Essen ?
Fettsäuren für den Zappelphilipp – Das Omega-Wunder
Bei jedem fünften Schulkind eines Jahrganges sind mittlerweile Lern- und Verhaltensauffälligkeiten zu beobachten. Kinderärzte, Psychiater, Psychologen versuchen in diesen Fällen mit einer Kombination von Medikamenten wie Ritalin und Verhaltenstherapie zu helfen. Die Bedeutung der Ernährung wird standardmäßig nicht in Betracht gezogen, obwohl Studien der letzten Jahre immer deutlicher gezeigt haben, dass vor allem ein Mangel an wichtigen Fettsäuren als eine Ursache für die Entstehung der Lernstörungen verantwortlich sein kann. Um dem auf den Grund zu gehen, wurde in England an der Universität Oxford eine Studie mit betroffenen Schulkindern durchgeführt. Sie erhielten für drei Monate „Lern-Pillen“ mit Omega-Fettsäuren. Und dann passierte das „Omega-Wunder“: Die Kinder hatten wieder Spaß am Lernen, weil es ihnen leichter fiel. Sie konnten sich viel besser konzentrieren, waren nicht mehr so zappelig und vertrugen sich besser mit ihren Klassenkameraden.
Als Anfang des Jahres diese Studie in Hamburg vorgestellt wurde, sprach Ulla Scholten für BALANCE mit der Leiterin der Studie, Dr. Madeleine Portwood, Kinder- und Jugendpsychologin von der englischen Dyslexie-Stiftung
BALANCE: Dr. Portwood, wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Kindern Fischöl-Kapseln zu verabreichen?
Dr. Portwood: Es hat in den letzten Jahren mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen gegeben, die darauf hinweisen, dass manche Kinder mit Lernstörungen keine Hirnstoffwechselstörung, sondern einfach eine Fettstoffwechselstörung haben, weil sie entweder nicht genug essentielle Fettsäuren über die Ernährung zu sich nehmen oder ihr Körper sie nicht richtig verstoffwechselt, das heißt, dass sie im Gehirn nicht in ausreichender Menge ankommen. Man hatte sowohl bei Kindern wie auch bei Erwachsenen mit Lern- und Verhaltensstörungen wie ADHD, ADS auffällig niedrigere Omega-Fettsäure-Spiegel gemessen. Also lag es auf der Hand, herauszufinden, was passiert, wenn man diesen Spiegel durch eine Extraportion Omegas erhöht. Ausschlaggebend war für mich aber dann die Teilnahme an einem medizinischen Kongress zum Thema „Depression und Schizophrenie“. Dort wurden Studien vorgestellt, bei denen mit Fischöl, die so genannte Omega-3-Fettsäuren enthalten, erstaunliche Erfolge erzielt werden konnten. „Wenn Fischöl bei diesen schweren Krankheiten hilft, warum nicht auch meinen lerngestörten Kindern?“ fragte ich mich und startete mit Unterstützung der Dyslexie-Stiftung eine Studie mit Grundschulkindern des Kreises Durham. Das Ergebnis dieser kleinen Studie war überwältigend: Die Kinder wurden fröhlicher und konnten sich viel besser konzentrieren. Durch dieses tolle Ergebnis wurde unsere Vermutung bestätigt, und wir entschlossen uns zu einer großen klinischen Doppelblind-Studie an der Universität Oxford, an der über 200 Kinder von 23 Grundschulen teilnahmen.
BALANCE: Können Sie uns erläutern, was eine Doppelblind-Studie ist?
Dr. Portwood: Es gab zwei Gruppen von Kindern. Die eine erhielt Kapseln mit Omega-3-Fettsäuren, die andere Gruppe Kapseln, in denen nur Wasser war. Außerdem wusste keine der beiden Gruppen, ob sie nun die Kapsel mit Fettsäuren schluckt oder das so genannte Placebo. Auch die Personen, welche die Kapseln verabreichten – es waren hauptsächlich die Lehrer – wussten nicht, was sie den Kindern gaben. Auf diese Weise versucht man den Placebo-Effekt auszuschließen, den es bei jeder nicht so durchgeführten Studie gibt. Ziel ist zu beweisen, dass nur der Inhaltsstoff und nicht beispielsweise die menschliche Zuwendung zu einer Verbesserung führt.
BALANCE: Was war denn in den „Lern-Kapseln“ drin?
Dr. Portwood: Vor der Studie haben wir mehrere gängige Nahrungsergänzungen mit Fischöl getestet, um herauszufinden, welche geeignet sein könnte. Die besten Ergebnisse waren von einer Kombination aus Fisch- und Nachtkerzenöl zu erwarten. Bezeichnenderweise heißt sie „Eye Q“. Nomen ist in diesem Fall Omen. Das Ergebnis der klinischen Studie mit dieser Nahrungsergänzung war mehr als verblüffend. Schon nach drei Monaten verbesserte sich die Lesefähigkeit um „zwei bis drei Jahre“. Das Schriftbild einiger Kinder, das zuvor nicht lesbar war, wurde klar. Die Kinder bekamen Spaß am Lesen und Lernen. Das habe ich mir nie träumen lassen. Bei der Hälfte der teilnehmenden Schüler haben wir dramatische Verbesserungen gesehen. Für viele Kinder könnte also die Einnahme der richtigen Fettsäuren eine wirkliche Alternative sein. Die Mischung aus Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren (Fisch- und Nachtkerzenöl), hat richtig eingeschlagen.
BALANCE: Wie können Eltern denn herausfinden, ob Fettsäuren ihren Kindern helfen, besser zu lernen?
Dr. Portwood: Körperliche Zeichen eines Fettsäuremangels sind Durst, häufiges Wasserlassen, raue, trockene Haut und Haare, Kopfschuppen sowie weiche, brüchige Nägel. Häufig sind Ekzeme zu beobachten sowie Allergien und Asthma. Mögliche Hinweise sind auch Sehstörungen wie z. B. schlechtes Nachtsehen, Überempfindlichkeit bei hellem Licht oder Störungen beim Lesen, wenn sich auf der Seite Buchstaben zu bewegen scheinen oder Wörter verschwimmen oder unscharf sind. Fettsäuremangel zeigt sich ebenfalls in Aufmerksamkeitsstörungen wie Ablenkbarkeit, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen und dem oft beschriebenen Gefühl, wie benebelt zu sein sowie in emotionaler Labilität oder Überempfindlichkeit, z. B. besonders übertriebener Ängstlichkeit und/oder Anspannung, Stimmungsschwankungen oder Wutanfällen, die aus einer niedrigen Frustrationstoleranz heraus erwachsen. Auch Schlafprobleme, insbesondere, wenn diese sowohl das Einschlafen, als auch das Erwachen am Morgen betreffen, können durch Fettsäuremangel verursacht werden. Bei 40% der Kinder mit Lernstörungen ist Fettsäuremangel als Ursache anzusehen. Hier kann Eye Q helfen. Die Eltern sollten aber mit dem behandelnden Arzt darüber sprechen und keinesfalls ein Medikament einfach absetzen. Man könnte beispielsweise in einer medikamentenfreien Zeit einen Versuch machen und sehen, wie das Kind darauf reagiert. Das ist mit keinem Risiko verbunden, da es keine Nebenwirkungen gibt.
BALANCE: Warum sind diese Fettsäuren denn so wichtig? Wir haben in den vergangenen Jahren doch immer gehört, dass wir weniger Fett essen sollen und nun hören wir, dass Fettmangel Kinder dummer macht?
Dr. Portwood: Fett ist nicht gleich Fett. Es gibt gute Fette, und es gibt schlechte Fette. Die Warnung gilt für letztere. Das sind hauptsächlich tierische Fette. Sie machen dick, krank und alt. Die Bewohner von Kreta zählen zu den gesündesten und langlebigsten Menschen. Ihre Ernährung besteht zu 40% aus Fett. Dieses Fett stammt aber hauptsächlich aus Olivenöl und fetten Fischen. Diese Fette halten gesund. Fleisch essen die Kreter dagegen statistisch nur alle 10 Tage. Das ist vorbildlich.
BALANCE: Warum braucht das Gehirn Fett zum Lernen?
Dr. Portwood: Lernen ist ein komplizierter Vorgang. Wenn wir etwas lesen, wird das im Gehirn in elektrische Impulse übersetzt und von Gehirnzelle zu Gehirnzelle weitergeleitet, bis es an einen bestimmten Ort gelangt, wo das Gelesene abgespeichert wird, so dass wir uns später daran erinnern können. Das ist aber nicht so ohne weiteres möglich, denn zwischen jeder Gehirnzelle und der Nachbarzelle klafft ein kleiner Spalt, die Synapse. Diese muss überwunden werden. Omega-3-Fettsäuren spielen dabei eine ganz wichtige Rolle und sorgen für eine schnelle Weiterleitung. Bei einem Mangel braucht der Impuls einfach sehr viel mehr Zeit. Das Lernen wird langsamer und schwieriger. Omega-3-Fettsäuren zählen zu den essentiellen Fetten, das sind solche, die der Körper nicht selbst herstellen kann, sondern die ausschließlich über die Nahrung zugeführt werden müssen. Schon Schwangere können dafür sorgen, dass ihr Kind später besser lernt. Das Gehirn des Babies entwickelt sich im letzten Drittel der Schwangerschaft besonders schnell und braucht viele Omega-Fette als Bausteine. Immerhin besteht das Gehirn zu 60% aus Fett. Wenn die werdende Mutter in der Schwangerschaft genügend Omega-3-Fettsäuren zu sich nimmt, wird das Kind klüger und gelassener zur Welt kommen und es auch bleiben. Das hat gerade eine norwegische Studie gezeigt. Die Natur weiß, wie wichtig diese Fettsäuren sind und hat für eine weitere gute Entwicklung des Gehirns nach der Geburt vorgesorgt: in der Muttermilch ist eine Extraportion Omega-3-Fettsäuren enthalten, deshalb ist Stillen auch gut für die Intelligenz. Wenn das Kind älter wird, kann man seine Lernfähigkeit verbessern, wenn häufig Lebensmittel mit hohem Omega-Anteil auf dem Speiseplan stehen. Dazu zählen fette Kaltwasserfische (Makrele, Hering Lachs), Süßwasseralgen, Leinsamen, Leinöl, Walnüsse, Walnussöl, Rapsöl. Die Öle sollten kalt gepresst und nicht verarbeitet sein. Wenn Kinder das absolut nicht mögen, können auch Nahrungsergänzungen wie Eye Q eine Alternative sein. Es gibt aber auch Fettsäuren, die dem Gehirn nicht gut tun. Dazu zählen tierische Fette und vor allem die so genannten Transfettsäuren. Wenn im Essen über längere Zeit nicht genug Omega-Fette enthalten sind, werden diese schlechten Fette stattdessen im Gehirn eingebaut. Das hat Folgen: Kinder, die zuviel falsche Fette essen, lernen meist schlechter, sind launischer und aggressiver. Also nicht soviel fette Wurst und Käse essen. Transfettsäuren sind in ganz vielen Industrieprodukten enthalten, von Plätzchen, Crackern, Pommes frites über fertige Kuchenmischungen, Fertigsoßen bis hin zu paniertem Geflügel oder Fisch. Man kann ihnen kaum entgehen. Erkennbar sind sie an der Bezeichnung „gehärtete Fette“, pflanzliche Fette, teilweise gehärtet“. Sie gelten auch als gesundheitsschädlich, weil sie das Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich erhöhen. Omega-Fette sind dagegen in den Industrieprodukten so gut wie nicht vorhanden, weil diese Fette schnell ranzig werden und die Produkte damit eine viel geringere Haltbarkeit haben. Deshalb der Rat zu viel Frischkost mit magerem Fleisch, reichlich Gemüse, Kartoffeln, Salaten mit gutem Öl und für Zwischendurch die Portion Mageryoghurt (pur) mir frischem Obst. Das ist nicht nur etwas Gutes für das Gehirn. Damit schenkt man den Kindern die Grundlage für ein langes gesundes Leben.
BALANCE: Bewegung soll auch gut für das Gehirn sein.
Dr. Portwood: Das ist richtig. Bei unseren Studien haben wir die erschreckende Entdeckungen gemacht, dass der Großteil der Kinder nie oder kaum gekrabbelt hatte. Krabbeln ist so wichtig. Dabei vernetzen sich die beiden Gehirnhälften, das Denken wird vielfältiger und fällt leichter. Kinder brauchen Raum und Zeit dazu. Man sollte sie nicht zuviel herumtragen und zu früh hinsetzen. Dann sind sie weniger motiviert zu krabbeln, weil sie ihre Welt mit den Augen entdecken und erweitern. Bewegung ist generell gut für die Gehirnentwicklung. Man weiß heute, dass sogar ältere Menschen durch Bewegung ihr Gedächtnis verbessern können.
BALANCE: Gibt es die „Lern-Pille“ in England auf Rezept?
Dr. Portland: In England wurden die Ergebnisse der oben erwähnten Studie schon letztes Jahr bekannt und sorgten in den Medien für viel Furore. Der Sender BBC fand die Ergebnisse so bedeutend, dass er sie in seine Wissenschaftsreihe „BBC Exclusiv“ aufnahm und einen Film mit Kindern, die an der Studie teilgenommen hatten, in den Sendungen „Wie entsteht das Bewusstsein“ und „Kinder unserer Zeit“ zeigte. Hier kamen auch betroffene Eltern und Lehrer zu Wort, die noch gar nicht glauben konnten, dass eine kleine Pille mit ganz natürlichen Inhaltsstoffen bei ihren Kindern soviel Gutes bewirken konnte. Viele Eltern forderten daraufhin, dass Ärzte die Pille allen Kindern verschreiben sollten. Aber soweit ist es noch nicht. Immerhin ist die Pille schon in den Apotheken erhältlich, auch in Deutschland. Sie könnte die Lerntheorien revolutionieren. Vielleicht haben die finnischen Kinder bei der Pisa-Studie ja deshalb so gut abgeschnitten, weil sie traditionell viel Fisch essen?
BALANCE: Werden die Kinder durch das Pillenschlucken nicht an Medikamentenkonsum herangeführt?
Dr. Portwood: Darüber hat man sich auch Gedanken gemacht und die Inhaltsstoffe in eine flüssige Form gebracht. Wer seinem Kind also keine Pille geben möchte, gibt ihm einen Teelöffel mit dem entsprechenden Saft. Ich rate den Eltern meist, die Nahrungsergänzung ebenfalls zu nehmen. Omega-3-Fettsäuren halten nicht nur das Gehirn auf Trab, sie schützen auch das Herz, senken das schlechte Cholesterin und helfen bei leichten Depressionen. Und das alles ohne jede Nebenwirkung.
BALANCE: Welche Rolle spielt generell die Ernährung bei Lernstörungen?
Dr. Portwood: Über die Entstehung der Lernstörungen und die ständige Zunahme dieser Entwicklung gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse, sondern nur Vermutungen und Hinweise. Offensichtlich kommen mehrere Faktoren zusammen. Es gibt Hinweise auf genetische Ursachen, allerdings nur für eine kleine Zahl der Fälle. Umweltfaktoren wie unausgewogene Ernährung, Zusatzstoffe in Lebensmittel (Farbstoffe, Glutamat, Süßstoffe, Zitronensäure), Nährstoffmangel (Fehlen der wichtigen Omega-Fette), Lebensmittelunverträglichkeiten oder auch Schwermetallbelastungen scheinen eine Rolle zu spielen. Dies sollte man abklären. Kinder können beispielsweise durch Amalgamfüllungen der Mutter belastet sein, da Amalgam über die Placenta in den Körper des Babys gelangen kann. Wird eine solche Belastung diagnostiziert, kann eine entsprechende Entgiftung große Entlastung bringen. Wir empfehlen auch, den Zuckerkonsum langsam aber sicher einzuschränken. Zucker schwächt das Gehirn, macht müde, unkonzentriert und aggressiv. Und – zuviel Zucker macht auf Dauer auch dick und krank. Wir haben ja heute schon Kinder mit Altersdiabetes. Natürlich muss der Bedarf nach Süßem gestillt werden, aber eben sehr maßvoll. Süßes Obst ist sehr viel sinnvoller als Bonbons. Ich weiß, dass diese Empfehlungen schwer umzusetzen sind, aber gerade in der Kindheit wird die Grundlage für die Gesundheit in späteren Jahren gelegt. Das darf man nicht vergessen.
BALANCE: Vielen Dank für dieses Gespräch. Es war sehr informativ.
Ulla Scholten, Medizinjournalistin
Informationen zur Studie unter :
www.durhamtrial.org (engl.)
email: info@cenaverde.com
Buchempfehlung: Hans-Ulrich Grimm, Die Ernährungslüge – Wie die Lebensmittelindustrie uns um den Verstand bringt, Droemer Verlag 2003
Quelle: BALANCE 03/2004