Hannya ist ursprünglich nicht eine Bezeichnung für eine ganze Gruppe von Ungeheuern, sondern der Eigenname eines speziellen (weiblichen) Dämons (Oni), der in der Nähe von Kyotos Rashomon (Südtor) sein Unwesen trieb. Am Rashomon wurden auch unbekannte Leichen abgelegt und unerwünschte Kinder ausgesetzt - also per se ein unheilvoller Ort, worauf auch Kurosawa in seinem berühmten (und höchst sehenswertem) Film Rashomon Bezug nahm (wenn auch für die meisten Westler nicht erkennbar).
Das Noh-Theater / Nogaku erhielt seine klassische Form durch Kanami und Zeami in der Muromachi-Periode in Kyoto - der Hauptstadt und Residenz der Ashikaga-Shogune. Daher wurde der 'lokale' Oni Hannya zu einem Standardcharakter des Noh, ähnlich wie die Figuren der etwas jüngeren italienischen Commedia dell'arte (Arlecchino, Pulcinella, Pantalone ...).
Ihre Geschichte ist gewöhnlich die einer schönen Frau, die zu einem hasserfüllten Eifersuchtsdämon wird. Am bekanntesten ist die Verarbeitung dieses Motivs in Zeamis 'Aoi No Ue', das eine Episode aus dem Genji Monogatari (das für mehrere bekannte Noh-Dramen die Vorlage lieferte) aufgreift.
Das Stück enthält einen typischen Topos - die zum Dämon gewordene Rokujo (Genjis Geliebte, die das Leben seiner Frau Aoi bedroht), wird durch einen heiligen Mann, einen Yamabushi, besänftigt. Durch eine Reihe von Beschwörungen, wobei sich am Schluss eine Rezitation des Hannya-Kyo (Prajnaparamita-sutra) als entscheidend erweist. Hannya - der Name des Dämons - hatte wohl ursprünglich nichts mit dem japanischen Wort für 'prajna' zu tun, auch wenn beides mit denselben beiden Schriftzeichen geschrieben wird. Die Verbindung des Dämonennamens mit dem Sutrennamen im Drama drängte sich natürlich durch die Namensgleichheit auf ....
Das Stück schließt mit den Versen des Chors:
als sie den Klang der Schrift vernahm
wurde des Dämons rasendes Herz besänftigt
als Gestalten von Mitleid und Erdulden
Steigen die Bodhisattvas herab
ihr Geist warf seine Fesseln ab
nun wandelt sie auf Buddhas Weg
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