15 Jahre Retinoidtherapie: Langzeiterfahrungen in einer dermatologischen Spezialsprechstunde
[...] Untersuchungen anhand von 90 Patienten, die über einen Zeitraum bis zu 15 Jahren beobachtet wurden.
[...]
In unseren Untersuchungen wurden 75 Etretinat-/Acitretinpatienten über einen Zeitraum bis zu 15 Jahren beobachtet und die therapeutischen Effekte, Dosierungen und unerwünschten Wirkungen (Nebenwirkungen) in der Zeitachse dokumentiert und ausgewertet. Außerdem beobachteten wir Therapiewirkung und Nebenwirkungen bei 15 Aknepatienten unter Medikation von Isotretinoin (Roaccutan) über einen Zeitraum von durchschnittlich 6,6 Monaten.
[...]
3.2 Ergebnisse der Isotretinointherapie
Von 15 Patienten, die mit Roaccutan behandelt wurden, waren 12 Männer und 3 Frauen. Das Durchschnittsalter bei Beginn der Therapie betrug 29,1 Jahre und die Altersspanne bei Therapiebeginn liegt zwischen 17 und 64 Jahren. 15 Patienten erhielten Roaccutan in einer Gesamtdosierung von 90,145 g. Die Spanne der Gesamtdosis reicht von 1,2 - 23,51 g, im Gesamtdurchschnitt erhielt jeder Patient 6,01 g. Die Anfangsdosis betrug für 15 Patienten durchschnittlich 36 mg/d (30-70 mg/d), die Erhaltungsdosis betrug durchschnittlich 29,6 mg/d (22,9 - 45 mg/d). In 93,3 % (14/15) wuden Aknepatienten und in nur 7,7 % (1/15) wurde eine hereditäre Keratose mit Isotretinoin behandelt.
Im Durchschnitt wurde jeder Patient 6,6 Monate (1-30,7 Monate) mit Roaccutan behandelt. Die Gesamtbehandlungsdauer betrug für 15 Patienten 99,5 Monate. In 3 Fällen wurden Behandlungspausen von 2 Wochen, 1,2 und 6 Monaten eingelegt. Rezidive traten bei 2 Patienten (nach 3 bzw. 5,1 Monaten) auf, rezidivfrei blieben 3 Patienten, bei 10 Patienten traten deutliche Verbesserungen ihrer Hauterkrankung ein. Der klinische Effekt ... zeigt sich in der Verbesserung der Hautbefunde in 14 Fällen, bei 1 Patienten blieb der Hautzustand unverändert. Die Verbesserung der Hautbefunde zeigte sich im Rückgang von Induration, Infiltrat und Komedonen, Rückgang von Entzündung, Erythem, Zysten und Pusteln/Papeln, Abflachung von Narbenkeloiden sowie im Nachlassen von Eitersekretion, Schuppung und Dyskeratosen. Die Besserung der Hautbefunde trat nach durchschnittlich 7,4 Wochen (3-28 Wochen) auf.
[...]
Nach Orfanos besteht die Retinoidwirkung bei verschiedenen Verhornungsstörungen aus einer verstärkten Keratolyse in Verbindung mit einer günstigen Modulierung von epidermalem Wachstum und Differenzierung sowie zusätzlicher Blockade von Entzündungszellen in der Epidermis: ”... tritt die klinische Besserung der Hautkrankheit - unabhängig von ihren auslösenden Ursachen - nicht durch Elimination der zugrunde liegenden pathogenetischen Noxe, sondern durch Verhinderung von deren Auswirkungen auf das verhornende Epithel ein.”
[...] Nebenwirkungen der Roaccutantherapie traten bei 15 Patienten in Form von Cheilitis, Sebostase, Pruritus und Konjunktivitis, trockener Mundschleimhaut, Exsikkose, Erosionen der Lippen, erhöhter Hautverletzlichkeit, Allergodermie, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, häufiges Nasenbluten und Schuppung der Kopfhaut auf.
Bei 7 der 15 Roaccutanpatienten war die Therapie zum Zeitpunkt der Auswertung bereits beendet, 5 Patienten wiesen einen stabilen gebesserten Hatzustand auf, bei 2 Patienten trat ein Rezidiv nach 3 bzw. 5,1 Monaten auf. 8 der 15 Roaccutanpatienten befanden sich zum Zeitpunkt der Auswertung in laufender Behandlung.
Bei keinem der 15 Roaccutanpatienten traten unter der Therapie hepatotoxische Reaktionen oder permanente Erhöhungen der Leberwerte auf, die den Abbruch der Therapie gerechtfertigt hätten. Die beschriebenen Nebenwirkungen führten in keinem Fall zu Verschlechterungen vorbestehender Erkrankungen und wurden von den Patienten aufgrund ihrer geringen Beeinträchtigungen gut toleriert.
Im Rahmen unserer ambulanten Langzeitbetreuung wurden 15 Patienten mit Isotretinoin über einen Zeitraum von durchschnittlich 6,6 Monaten behandelt. Die Behandlung wurde im Durchschnitt mit 36 mg/d (0,31-0,83 mg/kg KG) begonnen und mit 30 mg/d weitergeführt (entsprechend einer Tagesdosis von 0,29-0,52 mg/kg KG) über einen Zeitraum von durchschnittlich 6,6 Monaten in Abhängigkeit von der Tagesdosis. Behandelt wurden 14 Patienten, die unter verschiedenen Arten von Akne litten und ein Patient mit einer hereditären Keratose. Die klinischen Wirkungen zeigten sich im Rückgang von Induration, Infiltration und Komedonen, rückläufig waren Entzündungszustand, Erythem, Zysten und Pusteln/Papeln. Weitere klinische Wirkungen waren mit Rückgang der Eitersekretion, Schuppung und verminderter Ausbildung von Dyskeratosen zu verzeichnen. Die klinische Wirkung von Isotretinoin besteht in einer Verminderung der Sebumproduktion, in Verminderung und Auflockerung des intrainfundibulären Hornpfropfes sowie antientzündlicher und antiproliferativer Wirkung. Die Effektivität der Isotretinoinbehandlung hängt von der Fähigkeit, verschiedene pathogene Mechanismen zu regulieren, ab: Sebumproduktion, Komedogenese, bakterielle Besiedlung und Entzündung spielen eine Rolle. In Übereinstimmung mit Weightman konnte auch bei unseren Patienten durch die Einnahme von Isotretinoin eine Abflachung von Narbenkeloiden erreicht werden.
Eine Verbesserung der Hautbefunde konnte durch die Isotretinointherapie bei 14 von 15 der behandelten Patienten erreicht werden, bei 1 von 15 blieb der Hautzustand im Rahmen einer Akne conglobata-Behandlung unverändert. Klinische Nebenwirkungen traten bei allen 15 Patienten auf und äußerten sich in Form von Cheilitis bei 60%, Sebostase bei 20%, Pruritus bei 13% und in 7% mit Konjunktivitis, Xerostomie, Exsikkose, Lippenerosionen, erhöhter Hautverletzlichkeit, Allergodermie, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Epistaxis und Schuppung der Kopfhaut.
Schwere systemische Nebenwirkungen, die in der Literatur mit 2 % angegeben sind, wie Kopfschmerzen, Myalgien, Arthralgien oder akute Arthritis, traten bei unseren Patienten nicht auf. Hepatotoxische Reaktionen oder permanente Leberwerterhöhungen sahen wir unter der Isotretinointherapie nicht. Im Gegensatz zu Untersuchungen von Ostlere et al. waren bei unseren Patienten signifikante Erhöhungen im Fettstoffwechsel (Cholesterol und Triglyzeride) nicht nachweisbar. In Übereinstimmung mit Ergebnissen von Cunliffe et al. führten die Nebenwirkungen bei keinem Patienten zu einer Verschlechterung vorbestehender Erkrankungen und wurden von den Patienten gut toleriert, so daß ein Behandlungsabbruch nicht notwendig wurde.
Bei 8 von 15 Patienten war die Behandlung zum Zeitpunkt der Auswertung noch nicht beendet, von 7 abgeschlossenen Isotretinoinbehandlungen wiesen 5 einen stabilen gebesserten Hautzustand auf, bei 2 Patienten trat ein Rezidiv auf. Bei 5 abgeschlossenen Behandlungen erwies sich der Behandlungszeitraum von 6,6 Monaten als ausreichend, um ein stabiles, für Arzt und Patient zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen.
Die Isotretinoinbehandlung sollte in Anlehnung an Cunliffe et al. nach unseren Ergebnissen nicht nur auf die Therapie schwerer Akneformen beschränkt bleiben, da die Aknemorbidität durch mehr Faktoren als die körperliche Beeinflussung, z. B. psychische und psychosoziale Probleme, determiniert wird. Bei unseren behandelten Aknepatienten konnte eine deutliche Verbesserung, parallel zur Abheilung der Hauterscheinungen, der reaktiven Verstimmung auf die Erkrankung und Normalisierung in ihrem sozialen Umfeld (Familie und Freunde) festgestellt werden. Bei sorgfältiger Patientenauswahl und Überwachung ist es möglich, die Langzeitretinoidtherapie ohne erhöhtes Risiko von nachteiligen Effekten für die Patienten durchzuführen.
Welche Schlußfolgerungen können wir aus diesen Langzeiterfahrungen mit der Retinoidtherapie ziehen?
Unsere Erfahrungen über 15 Jahre Retinoidbehandlung haben gezeigt, daß Retinoide als Präparate für eine dermatologische Dauerbehandlung geeignet sind, die klinisch gut zu steuern ist. Dosierungen von 0,5-1,0 mg/kg/d sind geeignet, um Patienten in einem klinisch zufriedenstellenden Hautzustand zu bringen und zu halten. Eine ausreichende klinische Wirkung ist nach 2-4 Wochen der Präparateinnahme festzustellen, wobei die individuelle Dosierung dem Schweregrad der Dermatose anzupassen ist.
Die sich als optimal für den Patienten festgestellte Dosierung läßt sich über einen langen Zeitraum beibehalten, da der klinische Effekt nicht nachläßt. Einsatzgebiete für die Langzeittherapie von Retinoiden sind pustulöse, erythrodermische und Plaque-Psoriasisformen, lokalisierte und generalisierte Verhornungsstörungen sowie Lymphome. Die bekannten Dosierungshinweise werden in der Langzeittherapie dem klinischen Effekt und den unerwünschten Wirkungen angepaßt.
Auch bei einer Dauertherapie über Jahre kommen unserer Erfahrung nach in der Regel keine neuen unerwünschten Wirkungen, die im wesentlichen den Leberstoffwechsel und Blutfettwerte betreffen, hinzu. Auf seltene unerwünschte Wirkungen wie Kopfschmerzen oder „Pseudotumor cerebri“ durch Hirnödeme wird im Text hingewiesen.
Bei der Langzeitbehandlung fällt hinsichtlich der paraklinischen Nebenwirkungen auf, daß sich die Laborwerte auf einem höheren aber tolerierbaren Niveau einpegeln und im Laufe der Therapie nicht weiter ansteigen. Nach Absetzen der Retinoide nach einer Langzeitbehandlung kommt es innerhalb von 2-12 Wochen zu einen Rezidiv, meist ohne Rebound-Effekt.
[...]
Zusammenfassend läßt sich für die Langzeittherapie mit Retinoiden feststellen, daß damit eine Lücke in der Behandlung von chronischen Dermatosen mit Verhornungstörungen geschlossen wurde.
Die Therapie wird bei individueller Steuerung über Jahre und Jahrzehnte von den Patienten gut toleriert und von diesen Patienten als deutliche Steigerung ihrer Lebensqualität angesehen.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchungen lassen sich so zusammenfassen: Retinoide sind für eine Langzeittherapie über Jahre geeignet und chronische Hautkrankheiten, wie die Psoriasis, können in ihrem Verlauf über Jahre günstig beeinflußt werden.
Grundsätzlich erscheint es auf Grund unserer Untersuchungen möglich und sinnvoll, Patienten mit chronischen Dermatosen Retiniode als Langzeitbehandlung zu verabreichen. Die Dosierung wird, wie wir an unseren Patienten zeigen konnten, nicht starr belassen sondern individuell dem Krankheitsschweregrad angepaßt. So werden die Hauterscheinungen, beispielsweise von Patienten mit Psoriasis vulgaris, auf etwa 20-30 % des Ausgangsniveaus gehalten. Wir konnten zeigen, daß dazu etwa Retinoiddosierungen von 0,34-0,5 mg/kg Körpergewicht notwendig sind. Das garantiert einerseits, daß das Krankheitsniveau dauerhaft erträglich für den Patienten gehalten werden kann, zum anderen, daß die Nebenwirkungsrate in tolerierbaren Grenzen bleibt.
Bedeutsam erscheint anhand unserer Auswertungen, daß sich die Nebenwirkungsrate und das Spektrum unter der Langzeittherapie nicht zu ändern scheint. Dieses gilt sowohl für die klinischen als auch die paraklinischen Nebenwirkungen. [...] Wir fanden außerdem, daß die Retinoidtherapie paraklinische Parameter wie Leberenzyme und Blutfette zwar beeinflußt, es aber auch unter Langzeitgabe nur selten zu einer zunehmenden Verschlechterung der Parameter kam, so daß auch von dieser Seite her eine Retinoidlangzeittherapie tolerabel und sinnvoll ist.
[...]
Gabler, Wibke: 15 Jahre Retinoidtherapie: Langzeiterfahrungen in einer dermatologischen Spezialsprechstunde. Halle, Martin-Luther-Universität, Med. Fak., Diss., 80 Seiten, 2003
Lesezeichen