Immer wieder hört und liest man, dass man die Kniebeuge nur bis zu einem rechten Winkel im Kniegelenk machen dürfe und auf keinen Fall tiefer, weil das “schlecht“ für’s Kniegelenk sei. Die meisten Trainer, Mediziner und Sportwissenschaftler weisen immer wieder darauf hin. Aber stimmt das auch? Tut es nicht! Dagegen spricht nicht nur die Empirie im Kraftsport (Gewichtheben, Powerlifting), sondern auch die Biomechanik.

Das Gegenteil ist der Fall: Die 90°-Kniebeuge ist für das Kniegelenk belastender als die tiefe Kniebeuge, sprich der klassische “Squat“. Wenn die Beugung bei einem Kniewinkel von 90° abgebremst wird, wirken höhere Scherkräfte auf das Gelenk als bei einer Fortsetzung der Bewegung in die “Hocke“.
[Wobei es bei der tiefen Kniebeuge keine wirkliche Hocke ist, da ja in diesem Fall durch Anspannen der autochthonen Rückenmuskulatur (Musculus erector spinae, “Rückenstrecker“) der Rücken bewusst lordosiert bzw. wie ein Bogen gespannt wird und man das Gesäß nicht nur nach unten, sondern auch nach hinten bewegt. Ansonst ist zu sagen, dass ein "Hinhocken" eine ganz natürliche Bewegung ist (siehe Kinder oder z.b. Indonesier, die oft stundenlang irgendwo hocken), die dem (nicht vorgeschädigten) Kniegelenk nicht schadet.]

Beim rechten Winkel im Kniegelenk, also beim rechten Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel, hat der Lasthebel (Oberschenkel) mit dem Widerstand (Körpergewicht plus Hantelgewicht) den größten Abstand zum Drehpunkt (Kniegelenk) und dadurch das größte Drehmoment. In dieser Position besteht die größte Kniebelastung, v.a. beim Strecken des Beins aus dieser Position heraus, sprich bei der Aufwärtsbewegung (also beim Aufrichten).
Wenn man aber von einer tieferen Position heraus drückt, wird der “kritische“ 90°-Winkel quasi “im Vorbeigehen“ passiert, und damit das Kniegelenk, sprich in erster Linie der Gelenksknorpel, aber auch die Menisci und das vordere Kreuzband, weniger druck- bzw. zugbelastet.

Darauf ist auch bei den sog. Box-squats zu achten - man darf also nicht den Fehler machen, eine zu hohe Box oder Bank zu wählen, die nur eine 90°-Beugung ermöglicht. Wenn bei rechtwinkeligem Kniegelenk aus dem “oberschenkelentspannten" Sitzen heraus gedrückt wird, kommt es zu einer kurzen, aber hohen initialen Kniebelastung.

Dass zudem die Belastung des Kniegelenks relativ gering gehalten werden kann, wenn man die Unterschenkel während des gesamten Bewegungsausführung möglichst senkrecht stehen lässt, also die Knie nie über die Fußspitze ragen, indem man bei der Abwärtsbewegung mit dem Gesäß nicht nur nach unten, sondern auch bewusst möglichst weit nach hinten geht, ist ein weiterer wichtiger Aspekt.

Die beste Methode, die tiefe Kniebeuge zu erlernen, ist die "Boxbeuge" (box squat). Dabei setzt man sich auf eine Kiste oder flache Bank, indem man das Gesäß bewusst so weit nach hinten fährt, dass die Unterschenkel senkrecht stehen bleiben. Während die Bogenspannung im Rücken immer aufrecht erhalten wird, baut man nach dem Hinsetzen die Muskelspannung in Gesäß und Oberschenkel neu auf und steht möglichst explosiv auf (siehe unten).


Hier nochmals die Punkte, die bei der Ausführung der Kniebeuge zu beachten sind:

Stand etwas mehr als schulterbreit, der Körperschwerpunkt ruht auf der ganzen Fußsohle (nie auf dem Vorfuß, eher sogar mehr auf der Ferse), kein “Knickfuß“ (Pronation)

die Fußspitzen zeigen in die gleich Richtung wie die Knie

der Blick ist geradeaus gerichtet

die Hantelstange liegt nicht auf dem 7. Halswirbel, sondern darunter auf dem Trapezius (Kapuzenmuskel)

LWS-Lordosierung (“Stockerlpopo“), ganzer Rücken immer in “Bogenspannung“, auch der Bauch wird angespannt

die Abwärtsbewegung wird mit dem Gesäß (nicht mit dem Kopf!) eingeleitet, das möglichst weit nach hinten geführt wird

die Unterschenkel bleiben so senkrecht wie möglich (die Knie sollen nie über die Fußspitze ragen)

die Knie werden bewusst nach außen gedrückt (sie bleiben immer über den Füßen, keine Valgusstellung = "X-Beine")

die Beugung erfolgt so weit, bis das Hüftgelenk etwas tiefer als das Kniegelenk ist (Oberschenkel sollen zumindest horizontal sein)

Die Neigung des Oberkörpers (je nach Widerstand = Hantelgewicht) stabilisiert den Körperschwerpunkt (verhindert ein “Umkippen“ nach hinten)

die Aufwärtsbewegung wird mit dem Kopf (nicht mit dem Gesäß!) nach oben eingeleitet


Quelle: Dr. Kurt A. Moosburger, Facharzt für Innere Medizin, Sport- und Ernährungsmediziner, Institut für Biostatistik und Dokumentation an der med. Universität Innsbruck


weiters: http://www.spsport.at/download/kniebeuge.pdf


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